Drei Mann an einem Teig: Bäckergeselle Michael Ross, Günter Wallraff und Alfred Meff ert junior (von links).
Ein Lob des Handwerks: Mit Günter Wallraff in der Lemgoer Backstube Meffert
Lemgo / Detmold (te). Diesmal braucht er keine Perücke, keinen falschen Namen. Hier in Lemgo bei der Bäckerei Meffert kann Günter Wallraff Günter Wallraff sein. Diesmal arbeitet der Journalist nicht im Verborgenen, sondern sichtbar. Mit Spaß. „Ein Unterschied wie Tag und Nacht“, sagt er und knetet weiter den Teig.
Um 4 Uhr gestern Morgen ist Wallraff in die Bäckerkleidung geschlüpft . Als er zwei Stunden später vom Arbeitstisch aufblickt und den Hell-Dunkel-Vergleich in die Runde ruft , hat er aber ganz anderes im Sinn als die Erleichterung, hier keine Entdeckung fürchten zu müssen. Es geht ihm vielmehr um den Gegensatz zu dem, was er zuletzt in einer Backfabrik, die für einen Großdicounter produziert, erlebt hat. Vier Wochen in einer Hunsrücker Großbäckerei waren für ihn dunkelstes Moll. Die Handwerksbäckerei lobt er hingegen in Dur.
Was Wallraff , seit mehr als 30 Jahren undercover in der Arbeitswelt unterwegs, im Ort Stromberg erlebt hat, beschrieb er als „Brötchenhölle“ im „Zeit- Magazin“. Dr. Bernd Nagel-Held vom Verein „Lippequalität“ hat den Rechercheur daraufh in zu einem Besuch in Lippe eingeladen. Hier gebe es Beispiele, die zeigten, dass es auch anders gehe. Jörg Meffert-Schauf und Alfred Meffert junior waren bereit, ihn in die Backstube zu lassen.
Da steht der 66-Jährige nun und rollt jetzt Vollkorn-Croissants. Eine ganze Latte von Vergleichen fallen ihm ein. „Hier duft et es, bei uns“ –ja das sagt er wirklich – „bei uns hat es nur gestunken. Bei uns waren wir Sklaven einer maroden Fließbandanlage, hier regiert die Maschine nicht den Menschen. Hier spricht man normal, bei uns wurde nur gebrüllt.“ Chaos, schlechte Zahlungsmoral, miese hygienische Bedingungen hat Wallraff dem für Lidl tätigen Unternehmen Weinzheimer vorgeworfen, „frühkapitalistische Zustände“, nennt er das.
Die Firma weist das als „krause Mischung aus angeblichen Fakten und unzulässigen Verallgemeinerungen“ zurück. Die Vorwürfe seien unzutreff end, die Standards würden eingehalten. Inzwischen hat das Unternehmen nach eigenen Angaben mit der Gewerkschaft Gespräche zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen aufgenommen und zahle über Tarif.
In Günter Wallraff s Augen ist vieles schwarz in der Arbeitswelt und wenig weiß. „Ich arbeite täglich im Negativen. Da war es für mich ein Bedürfnis, auch mal eine andere Welt zu erleben“, erklärt er, warum er nun in der Lemgoer Backstube sich die Nacht um die Ohren schlägt. Ein regionales Vermarktungskonzept wie es „Lippequalität“ umsetze, sei so ein Beispiel für eine andere Welt und zeige ein Umdenken, das gerade vor dem Hintergrund des derzeitigen Weltwirtschaft sschocks erforderlich sei. Die Vertreter dieser Wirtschaft müssten weg von „Geiz ist geil“ und der maßlosen Gier, sagt er in einer Arbeitspause und beißt in ein „Studentenbrötchen“, selbst geknetet.
Letztlich tue sich auch der Verbraucher mit schmalem Geldbeutel keinen Gefallen, wenn er immer nur auf den billigsten Preis schiele. Er habe Macht und könne sie nutzen. Alfred Meff ert junior, gemeinsam mit seinem Bruder Jörg Chef der 90 Mitarbeiter, schaut erleichtert. Ganz wohl war ihm nicht, als er den Journalisten, der sich als gesellschaft licher Durchleuchter versteht, in seinen Betrieb ließ. „Er ist ja bekannt dafür, dass er den Fehler sucht.“ Aber jetzt gibt es ein Lob für den Bäcker auf Zeit. „Er hat sich gut gemacht.“ Günter Wallraff schaut auf die Uhr und stellt sich wieder an den Arbeitstisch. „Hier vergeht die Zeit schnell, bei Weinzheimer verging sie überhaupt nicht. Ein Unterschied wie Tag und Nacht.“
Quelle: Lippische Landes-Zeitung Nr. 241, Mittwoch, 15. Oktober 2008 S.9